Perspektivenwechsel
 - oder wie ich lernte den *Cappuccino zu schätzen


Es gab eine Zeit da ging ich in mein Lieblingscafé, bestellte eine Cappuccino, trank denselben, zahlte und ging anschliessend zum nächsten Tagespunkt über. Dann kam der 6.Mai 2023 und nichts war mehr wie bisher!

Was war geschehen? In der Start und Aufbauphase von Kundenwerk bemerkte ich eine Lücke für die Sommerzeit und erkannte darin die Chance einen langjährigen Traum verwirklichen zu können. Wie Grisu, der als kleiner Drache unbedingt Feuerwehrmann werden wollte, so war es mein heimlicher Wunsch einmal eine Sommersaison als Bademeister zu verbringen. Vor dem geistigen Auge sah ich mich schon bei Kaiserwetter in roten Badeshorts über das Gelände des Strandbades zu wandeln, um anschliessend im Rhythmus von Chillout-Music coole Drinks an der Bar zu mixen. | SCHNITT & SZENENWECHSEL |

Wenn es ganz leise an deine Türe pocht, öffne – es könnte das Glück sein, wenn es laut klopft, sei sicher, es sind Verwandte. (Quelle unbekannt)
Im April klopfte es dann an meiner Haustür - ich öffnete und dann stand sie vor mir.
Meine Chance: Sympathisch spontan, verlockend & verführend. Wie eine Chance halt so daherkommt. Ich bat sie einzutreten, die Chemie stimmte und wir wurden uns einig. Es war Zeit für einen Perspektivenwechsel - ich wollte ganz neue Erfahrungen machen, dabei alte Strukturen und Rituale aufbrechen, meine Komfortzone ausdehnen und dann schauen was es mit mir macht.
Ich würde dies ohne einen wissenschaftlichen Nachweis dafür zu haben als „Synapsenjoga“ umschreiben. | SCHNITT & WECHSEL INS JETZT |

Die Schlange an der Kasse des Kiosk der Seebadi Hüttwilen reicht bereits am Gebäude vorbei. Seit über 3 Stunden stehe ich an der Hauptkasse und blicke in erwartungsvoll hungrige Gesichter. Beim Tippen richtet sich meine ganze Konzentration auf dieses kleine Tablet vor mir, währenddessen meine Empathie nach aussen gerichtet versucht, mit jedem Badegast in Kontakt zu treten. Rechts und links von mir arbeitet das Team zügig, effizient und sehr aufmerksam die Bestellungen für Kaffee, Drinks, Getränke und Glace ab. Die Bon´s für die bestellten Essen werden in der Küche ausgedruckt. Weshalb ich beim Beantworten von Ernährungs-, Bau-, Baderegel- und „das Floss ist zu weit draussen“-technischen Fragen so konzentriert sein muss, liegt an der Nummer welche ich unbedingt vor dem Ausdruck eintragen sollte. Falls das vergessen geht, sieht man mich ich mich bei Kaiserwetter in strammen Schritten über das Gelände des Strandbades hetzen, verzweifelt auf der Suche nach dem Gesicht welches zur Vegi Curry mit Apérol Spritz und dem koffeinfreien Cappuccino mit Hafermilch passt.
Ja richtig, bei nahezu 800 Badegästen wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen.
| SCHNITT & SZENENWECHSEL |

Ich stehe an der Kaffeemaschine, dort wo alle Bohnenträume entstehen, dort wo schönste Muster und Figuren in den zarten Cappuccinoschaum gezaubert werden. Dort wo der Kaffeeduft sich mit dem fruchtigen Geschmack des erfrischenden Sommersalates aus der Küche vermischt. Der Drucker spuckt gerade wieder eine Reihe von Bon´s aus und reisst mich aus meinen Gedanken.
| 2xKaffee Freddo, 5xCappuccino (1xKoffeinfrei, 2xHafermilch), 3 Espresso |
Ich mache mich zuerst an die Cappuccinis und stelle erfreut fest, dass ich heute einen guten Lauf habe. Das Einblasen von heissem Wasserdampf entwickelt manchmal gewisse Geräusche, welche bis in die Küche zu hören sind. Heute jedoch schaffe ich es ohne grosses Zischen, Gurgeln & Pfeifen einen Schaum zu erzeugen, der wohl noch knapp als Cappuccino durchgehen würde. Bei den Mustern kann ich erst nach Abschluss sagen, ob es nun ein Herz oder doch eher ein übergewichtiges Seepferd darstellt. Ist halt so wie Kaffeesatz lesen, nur einfach vor dem Trinken. | SCHNITT & ZEITENWECHSEL |

Es ist bereits 22:50 als ich den Rasensprenger einschalte. Der frisch angesäte Rasen sollte noch vor Saisonschluss zu Benutzung zur Verfügung stehen. Die unzähligen Müllsäcke vom Tag habe ich bereits in die Container bugsiert. Das Team im Gebäude ist gerade am Finish. Schliesslich muss alles wieder bereit sein für den nächsten Tag. Als ich auf meiner Haus & Hof-Runde um 22:52 nun endlich die Toiletten abschliesse, kommen mir noch 2 junge Damen entgegen. „Ja klar mache ich Euch nochmals auf, kein Thema - Euch einen Schönen Abend“

Zuhause schlafen bereits alle als ich um 23.15 möglichst Geräusch-Emmissionsarm eintrete. Am liebsten würde ich zuerst auf das Sofa fallen, doch klebt noch der Duft von Babywindeln an Wassermelone mit Dosenbier garniert mit Hörnilisalat und fast frischem Fleischresten an mir. Der tiefe Einblick in die Abfalltonne und das anschliessende Ausgraben von Resten menschlicher Zivilisation bringen mich auf einen Gedanken. Unter der Dusche sage ich zu mir selbst: „Jeder sollte einmal in seinem Leben in der Gastro oder ähnlicher Dienstleistungsbranche arbeiten“. Der *Cappuccino ist nur die Metapher, steht quasi stellvertretend für alle die Menschen die jeden Tag hart dafür arbeiten, damit alle anderen Ihre Freizeit geniessen können. Es erfüllt mich mit Demut und Dankbarkeit, einen Sommer lang diesen Dienst für die Öffentlichkeit erfüllen zu dürfen.

Heute werde ich in mein Lieblingscafé gehen, einen Cappuccino bestellen, mich respektvoll über das schöne Muster freuen, den perfekten Schaum in der Tasse betrachte und mir beim Duft von frisch gemahlenen Kaffeebohnen ausmahlen wie es wohl wäre diese Erfahrung nicht gemacht zu haben.
Das ist nun 2 Monate nach dem 6.Mai 2023 und nichts ist mehr wie bisher!

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